Ein etwas missglückter Jahresausklang in Groningen
Mein geplanter Jahresabschlusslauf in Sint Annen bei Groningen in den Niederlanden sollte eigentlich über 245km gehen, aber leider musste ich nach 2 von 3 Runden, bzw. nach 164km aufgeben.
Ultralaufen ist immer ein Abenteuer! Man weiß weder, was unterwegs alles passiert, noch, ob man überhaupt das Ziel erreicht. Umso mehr, wenn die Strecke lang und die Bedingungen läuferunfreundlich sind. Erfahrung hilft, aber man hat nie genug davon, weil jeder Lauf irgendwie anders ist. Das macht das Laufen neuer Läufe aber auch so interessant.
Im Nachhinein kann ich mich gar nicht daran erinnern, was mich zu einer Anmeldung bewegte, denn ich mag weder Dunkelheit, Regen, Wind noch Kälte. Der Lauf wird immer am 27.12. in Sint Annen morgens um 9 Uhr am Glockenturm gestartet. Dann beginnt bei Tageslicht die erste von drei Runden mit 82 Kilometern mit einer kleinen Versorgungsstation etwa zur Hälfte. Die anderen Runden sind ähnlich. Da man dreieinhalb Tage Zeit hat, ist es der Plan einiger lokaler Läufer, tagsüber zu laufen und nachts zu Hause zu schlafen.
Mein Plan war anders, viel ehrgeiziger. Ich wollte nur zwei etwas längere Pausen beim Rundenwechsel machen und in 36 bis 39 Stunden fertig sein. Dann war geplant, ins Hotel zu fahren, etwas zu schlafen, zu frühstücken und am nächsten Tag mit meiner Frau Groningen zu besichtigen. Obwohl es laut Ausschreibung möglich war, den Lauf beliebig oft und lang zu unterbrechen oder auch nach einer oder zwei Runden mit Wertung zu beenden, gab es eigentlich keinen wirklichen Plan B. Martina wollte erst am Nachmittag des zweiten Tages kommen, um mich dann ab 21 Uhr abzuholen.
Am 26. reiste ich mit dem Zug an und Mitläufer Nico, der das 240km-Rennen gewinnen konnte, holte mich netterweise morgens vom Hotel ab. 4 Grad, 99% Luftfeuchtigkeit bei wenig Wind schienen ganz ok.
Kurz vor dem Start am Glockenturm in Sint Annen trafen sich die 7 240km-Läufer und 8 80km-Läufer, wo pünktlich durch eine Sirene gestartet wurde. Ein Läufer enteilte schnell, ich war in wechselnder Position zwischen Rang 2 und 5. Mein Plan war 2 km zu laufen und dann ca 30 sec zu gehen. Andere verfolgten andere Pläne und so kam es zu vielen Positionswechseln.
Es war ein kalter, feuchter Nebel. Trotzdem fühlte ich mich sehr gut, kam gut voran und blieb manchmal sogar für ein Foto stehen. Meist ging es über Radwege oder kleine Straßen, eher selten über Feldwege oder Wiesen.
Obwohl ich mich zweimal etwas verlief, denn immer dann, wenn ich mich zwischen zwei Wegen entscheiden musste, wählte ich treffsicher den falschen, kam ich noch 15 Minuten vor meinem Plan nach 9:45 Stunden wieder am Hauptquartier, der Terrasse des Veranstalters, an. Schnell wurde etwas gegessen, Rucksack gefüllt, eine dicke Mütze für die Nacht aufgesetzt und nach ca 30 Minuten ging es in die zweite Runde, für die ich 11:30 Stunden vorgesehen hatte. So konnte ich es mir leisten, jeden Kilometer eine kurze Gehpause zu machen und etwas langsamer zu laufen. Der Nebel war dichter geworden, so dass ich die Stirnlampe teilweise in die Hand nehmen musste, um überhaupt den Weg zu sehen. Mehr als 3 bis 5 Meter sah man zeitweise in der Dunkelheit bei der Luftfeuchtigkeit nicht. Erst gegen halb 2 kam ich am Versorgungspunkt an, der ein nett eingerichtetes Gartenhaus war, wo ich Kaffee trank, Kuchen und anderes aß und meine Trinkflaschen auffüllen konnte. So richtig gut fühlte ich mich nicht mehr, aber ich hatte ja auch schon 125km, also etwas über die Hälfte, bereits geschafft. Der Rückweg sollte 38km haben, in gewisser Weise „nur“, denn es sollte der kürzeste Abschnitt sein und doch waren es die Kilometer, die mir unglaublich schwerfielen. Nach jeder Pause war ich zunächst ausgekühlt und brauchte ca 20 Minuten, um auf Betriebstemperatur zu kommen und dann fand ich meist einen guten Rhythmus aus Gehen und Laufen, den ich normalerweise dann gut 2 bis 3 Stunden halten kann. Diese Marathonetappen sind eigentlich für mich etwas zu lang, zumal die Strecke und das Wetter kaum Gelegenheit bieten, sich zwischendurch auf einer Bank auszuruhen.
Was ich anfangs nicht wahrnahm und später dummerweise ignorierte, war, dass ich nun leichten Gegenwind hatte. Als ich mir eingestehen musste, dass ich ziemlich steif und ausgekühlt war und mein Zustand eher schlechter als besser wurde, hatte ich darüber nachgedacht, meine Regenhose über und eine Zwischenschicht unter meine Jacke zu ziehen, aber ich war gerade mitten in der Pampa ohne Licht und ohne Bank oder einer anderer Ablagemöglichkeit. Auf der anderen Seite waren es ja auch nur noch 30 Kilometer, bis ich mich am Haus warm einpacken konnte. Also weiter! Das war leider eine ganz üble Fehlentscheidung! Aber ich kam dennoch etwa im geplanten Tempo voran und so war ich durchaus optimistisch, das Rennen zu beenden. Ca 20 km vor Rundenende kam dann eine patschnasse Wiese. Innerhalb kürzester Zeit füllten sich meine Schuhe mit Wasser und die Füße quollen auf, sodass sich die Abrollbewegung beim Laufen nicht mehr gut anfühlte. Meine Laufabschnitte wurden immer langsamer und kürzer, bis ich komplett auf Wandern umstellen musste. Es waren zwar keine 10 Kilometer mehr, aber was dann? Ein Körperscan war eindeutig: Gleich ist Schluss! Obwohl es ca 6 Uhr war, schrieb ich Martina eine Nachricht, mich schnellstmöglich abzuholen. Ich sah einfach keine Chance, mich auf der Terrasse so weit aufzuwärmen, dass ich die letzte Runde irgendwie geschafft hätte. Um 7:41 Uhr kam ich dann ziemlich durchgefroren „am Ziel“ an, wo ich später im warmen Wohnzimmer auf Martina warten konnte. Danke an Henriëtte für die nette Erstbetreuung.
Eigentlich ist meine Zielzeit nur 41 Minuten hinter meinem 36-Stunden-Plan, aber die hatte ich auf den letzten 10 Kilometern verloren. Ein bisschen enttäuscht von mir bin ich schon, denn ich hätte es schaffen können, wenn ich im richtigen Moment mich wärmer angezogen hätte. Und die notwendigen Sachen hatte ich im Rucksack dabei. Voll blöd! 130km konnte ich dem Wetter trotzen, aber dann nicht mehr. Als der Wind plötzlich drehte, war die Temperatur sofort gefühlt 10 Grad kälter und erforderte natürlich sofort Maßnahmen. Als ich darüber nachdachte, war es eigentlich schon zu spät, aber hätte ich wenigstens zu diesem Zeitpunkt die wärmenden Teile angezogen, hätte ich meine Chancen auf ein 3-Runden-Finish deutlich erhöht.
Unter dem Strich habe ich für die laut Uhr gelaufenen 166km nun 22:41 Stunden gebraucht, was gar nicht so schlecht ist. Damit bin ich immerhin in der 100-Meilenwertung!
Aktuell höre ich zwei starke Stimmen in mir. Die eine sagt: Winterläufe sind nichts für dich, mach das nie wieder! Die andere meint: Das kannst du besser, also probiere es nächstes Jahr wieder. Mal sehen, was ich am 27.12.2025 mache? Groningen ist auch Ende Dezember sehr schön und der Organisator und die Mitläufer sind sehr nett.
Insgesamt überwiegen aber ganz klar die positiven Erinnerungen an die Tage in Groningen.